EIN KÖNIGSBERGER MALER IN BUDAPEST

Gedenkausstellung von Rudolf Grisard

Die Bilder mit eigenartiger Geschichte von einem Maler mit merkwürdigem Schicksal kann das Publikum hier in der Rét Galerie bewundern. Bilder eines Malers, der als Nachfolger einer früher aus Frankreich nach Deutschland geflohenen Familie, der in seinem Namen den Namen der Vorfahren - Grisard - bewahrt, in Königsberg im ersten Jahr des zweiten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts geboren ist. Schon diese Stadt - Königsberg- ist ein besonderer Schauplatz, die mit ihrer gotischen Kathedrale aus dem Mittelalter, mit ihrer Universität, mit ihren Theatern, Museen, - als Hansestadt mit ihren weit vernetzten Handelsbeziehungen, - mit ihren Handels,- und Militärhäfen, als Krönungsort der preussischen Könige lebt und gedeiht. Ganz bis zum Zweiten Weltkrieg, als sie nach dem Kriegsende von der sowjetischen Macht annektiert wurde, und als Kaliningrad als Teil der Sowjetunion in der Geschichte der neuesten Zeiten existiert. Hier in dieser Stadt mit langen Traditionen ist Rudolf Grisard aufgewachsen. Hier hat er mit seinen Studien angefangen, seine künstlerische Tätigkeit begonnen und eine Familie gegründet. Rudolf Grisard, dessen Laufbahn und künstlerische Tätigkeit der Krieg, wie die seiner Zeit,- und Schicksalsgenossen, gebrochen und zertrümmert hat. Er war im Krieg Berichtserstatter, dann Kriegsgefangener. Als er in seine Heimat zurückgekehrt ist, konnte er sein Heim und sein Atelier nicht mehr finden - seine Bilder aus der Jugendzeit sind grö?tenteils vernichtet worden oder verlorengegangen. Umsonst suchte er nach seiner Familie, er konnte sie nicht auffinden, und erst nach langen Jahren konnte er seine Kinder wiedersehen. Er baute seine Existenz neu auf, malte und zeichnete, unterrichtete in Kunstschulen in Eisenach und in Berlin. Er beschäftigte sich mit angewandter Malerei, Grafik, und Werbung. Er war angesehenes Mitglied künstlerischer Organisationen und Gruppen, wie z. B. der Gruppe "Junge Generation", in der er eine determinative Rolle spielte. Der Expressionismus ist eine künslerische Orientierung, die das innere Leben des Menschen, die unmittelbaren und ungedämpften Geschehnisse der menschlichen Seele zurückzugeben versucht, und die den unpersönlichen Naturalismus ablehnt, der in Deutschland im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ins Leben kam und in der ersten Hälfte des Jahrhunderts besonders wichtig wurde. Ernõ Kállai, ungarischer Kunsthistoriker, der vor dem Krieg in Berlin gelebt hat, hat in seinem Essay "Kunst unter gefährlichen Sternen" formuliert: "In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hat sich die gierige Hast des Expressionismus nach einer "tieferen" malerischen Ausdrucksweise gegen die nüchterne, die am Stoff gebundene Herrschaft des vernünftigen Betrachtens erhoben. Diese, auch nach den Kriegsjahren wirksame, künstlerische Auffassung war durch das übersprudelnde Gefühl einer ethischen Mission durchdrungen. Die Expressionisten waren überzeugt, dass sie die Boten einer revulutionären und sozialen Umwandlung und seelischer Läuterung der Menschheit sind. Ihre Bilder, die im Zauber einer "anderen" Welt, im religiösen Rausch der Brüderlichkeit des Universums zustande kommen, haben kosmische Visionen beschwört. Diesem mystisch-extatischen Geistesschwung, der jede Grenze der materiellen, irdischen Wirklichkeit hinter sich lässt, hat sich der Konstruktivismus entgegengesetzt, der den Horizont der Perspektive in formalem und geistlichem Sinne in eine ganz andere Richtung erweitert hat, aber genauso kühn und wirksam." Nun, in dieser genauen Beschreibung des Expressionismus taucht der Name einer anderen Stilrichtung auf, die die Tätigkeit von Rudolf Grisard so stark geprägt hat, der des Konstruktivismus, der die Konstruktion, den Aufbau der Sachen erforscht und darstellt, und der sich noch stärker von der konkreten Darstellung der Wirklichkeit entfernt. In den Werken vieler Künstler in der europäischen Kunst kann beobachtet werden, dass der Anspruch auf die Stilisierung und das Umformen der Sachen die traditionelle, nachahmende, abbildende, naturähnliche Darstellung allmählich zurückdrängt. In diesem Prozess wandelt sich die auf den Bildern Dargestellte in Hinweis,-und signalähnliche Motiven um, dann werden die malerischen Mittel, wie Farben, Flecke, Linien wichtiger als die durch sie dargestellten Elemente der Wirklichkeit. Mit der Zeit gehen auch diese immer blasser, immer errinnerungsmä?iger werdenden Grundbestandteile verloren und die Darstellung tritt in das Reich der volkommenen Abstraktion um. Die Kunstwerke dieser Ausstellung machen diesen Prozess anschaulich: die nach Ungarn gelangenen Bilder geben einen Einblick in das etwa 300 Kunstwerke umfassende Lebenswerk, und spiegeln die Schöpfungsgebiete und Schöpfungsperiode von Rudolf Grisard wider. Wie an den Bildern dieser Austellung zu sehen ist, war Rudolf Grisard ein Maler und Grafiker, der traditionelle Tafelbilder und Grafiken geschaffen hat, aber es ist nicht schwer in vielen seiner Werke zu entdecken, dass sie als Studie für ein monumentales Werk entstanden sind. Auch thematisch gehören seine Bilder zu den klassischen Gattungen der bildenden Kunst: Porträts, Landschafts,- und Genrebilder, symbolische Darstellungen, abstrakte Kompositionen hängen hier nebeneinander. Diese künstlerischen Ziele hat er mit einer vielseitigen Technik verwirklicht: Er hat mit Öl und mit Aquarell gemalt, hat mit Bleistift, Kohle und Pastellkreide gezeichnet, und seine Mittel hat er - im Gegensatz zu den späteren oder den heutigen, gemischten Techniken - immer homogen verwendet. Wenn wir seine Bilder betrachten, können wir die Persönlichkeit des Künstlers spüren. Seine Werke sind manchmal mit lyrischer Sensibilität, manchmal mit leidenschaftlicher Emotion, andersmal mit leichter, spielerischer Abstraktion und mit einer Absicht der Systematisierung geschaffene Kompositionen. Manchmal dominiert die genaue Bestimmung der Sachen, manchmal ein erahnbarer Hinweis auf sie. Manchmal ist ein lockeres künstlerisches Benehmen, manchmal ein strenges Formensytem zu beobachten. Manchmal schafft der Farbenreichtum, manchmal eine zurückhaltende Benutzung der künstlerischen Mittel die Atmosphäre und die immer intensive Ausstrahlung der Bilder. Im Auftakt habe ich über die Bilder mit eigenartiger Geschichte von einem Maler mit merkwürdigem Schicksal gesprochen. Nun, gelangen diese Bilder jetzt aus der Sammlung einer der Töchter des Malers, die in Ungarn lebt, vor ein Publikum. Sie hat sie noch nach dem Tod des Künstlers im Jahre 1979, noch vor der Wende, in der Zeitperiode der europäischen Trennung, über Grenzen, die die Länder des Kommunismus geschützt haben, und trotz der Grenzpolizei, nach Budapest "geschmuggelt". Die Bilder sind, auch wenn mit grosser Schwierigkeit, nach Ungarn gelangt. Rudolf Grisard konnte sich zu dieser Reise nicht entscheiden, obwohl er eine künstlerische Verwandschaft, eine Paralellität der Absichten zwischen seiner Kunst und der Kunst von dem ungarischen Jenõ Barcsay entdeckt hat, und den ungarischen Meister treffen wollte. Dieses persönliche Treffen konnte nicht mehr verwirklicht werden, aber zum Glück können sich die Bilder, die Geister der Bilder treffen. Dieses spirituelle Treffen beweist die Erkennung des Zeitgeistes und die Notwendigkeit der auf die Herausforderungen der Zeitperiode gegebenen Antworten von Künstlern mit ähnlicher Mentalität. Interessanterweise, und ungewohnt wurden neben den originalen Werken auch Reproduktionen an die Wände gehängt. Die Werke von Rudolf Grisard, die hier jetzt nur als Reproduktionen zu sehen sind, sind im Besitz der Mitglieder der Familie, die in Deutschland leben, oder sind an einem unbekannten Ort verborgen. Wir hoffen darauf, dass diese Ausstellung, die die Unbekanntheit des Malers in Ungarn zu beseitigen versucht, einmal als Anregung zum Sammeln und zur Präsentation des vollkommenen Lebenswerk dienen wird: wenn diese zusammenfassende, retrospektive Austellung zustande kommen könnte, könnten wir ein wertvolles Lebenswerk in seiner Vollkommenheit kennen lernen, das sowohl auf die Geschichte der ungarischen bildenden Kunst im 20. Jahrhundert reflektiert, als auch natürlich die Bedeutung der modernen deutschen Kunst betont. Mit der Hoffnung auf die Veranstaltung dieser zukünftigen Ausstellung möchte ich die Aufmerksamkeit des Publikums von Gazdagrét auf die Gedenkausstellung des Künstlers Rudolf Grisard richten.

Tibor Wehner

(Die Eröffnungsrede wurde am 06. 03. 2008 in der Rét Galerie des Gemeidehauses von Gazdagrét Budapest bei der Eröffnung der Ausstellung gehalten.)